Position der Sektion 8 zum Thema EU-Schwenk und Volksabstimmung

In der SPÖ kam es in der Europafrage zu einer entscheidenden inhaltlichen und strategischen Weichenstellungen, unmittelbar nachdem Werner Faymann im Juni2008 die Führung der Partei übernommen hat. Die neue Position wurde am 25. Juni in einem Brief an Krone-Herausgeber Hans Dichand verkündet. Wir unterscheiden bezüglich des Briefes an die Kronenzeitung sehr klar zwischen der Form und dem Inhalt des Briefes, außerdem ist uns die demokratische Legitimation der neuen Position wichtig.

• Demokratiepolitisch setzt sich unter Werner Faymann offenbar der
autokratische Führungsstil der letzten Jahre fort. Einer wesentliche
Richtungsänderung sollte eine innerparteiliche Debatte vorausgehen, überdies
ist selbstverständlich ein formaler Beschlusses im Parteivorstand notwendig.
Auf beides wurde verzichtet, die Wende beim Thema EU-Volkabstimmung
wurde von der SPÖ-Spitze schlicht und ergreifend verkündet.

• Selbstverständlich dürfen grundsätzlich Leser/innenbrief zu spezifischen
Themen an jede Zeitung in Österreich übermittelt werden um die jeweilige
Gruppe von Leser/innen gezielt mit den Positionen der SPÖ zu konfrontieren.
In diesem Fall entstand jedoch der Eindruck, die SPÖ würde die
nationalistische, unseriöse und im Kern antieuropäische Kampagne der
Kronenzeitung gegen die EU im Nachhinein gutheißen. Auch wenn die
Richtungsänderung der SPÖ-Führung nicht nationalistisch motiviert war, so
überschattete doch die gewählte Form den Inhalt und vermittelte eine Nähe zu
den Positionen der Krone. Werner Faymann hat sich für diesen Fehler
öffentlich entschuldigt, die kommenden Monate werden zeigen ob der
Eindruck einer Anbiederung an die Krone zukünftig verhindert werden kann.

• Inhaltlich wird die Neupositionierung der SPÖ von der Sektion 8 unter
Vorbehalten begrüßt. Der Versuch in Europafragen in die Offensive zu gehen
und die europäische Politik mit der Bevölkerung und nicht über die Köpfe der
Bevölkerung hinweg zu gestalten ist richtig. Auch die stärkere Betonung einer
Sozialunion ist absolut notwendig. Es mangelt allerdings noch an inhaltlicher
Substanz, der Kurswechsel kann nur der Beginn eines politischen
Diskussionsprozesses zum Thema Europa innerhalb der Sozialdemokratie
sein. Ein glaubwürdiges Eintreten für ein soziales Europa sowie konkrete
Vorschläge für den Aufbau einer europäischen Arbeitnehmer/innenbewegung
die diesen Namen auch verdient wären dafür absolut notwendig.

• Für die Zukunft muss das Ziel sein, europäische Abstimmungen nach dem
Prinzip der doppelten Mehrheit zu ermöglichen. Sowohl die Mehrheit der
Bevölkerung, als auch die Mehrheit der Staaten müssen in einer
Volksabstimmung ein Anliegen unterstützen. Um eine europäische
Abstimmung zu rechtlich möglich zu machen, müssen jedoch erst alle Staaten einzeln in nationalen Volksabstimmungen diese Souveränität auf die
europäische Ebene verlagern. Eine derartige nationale Volksabstimmung
sollte an einem Tag in allen EU-Mitgliedsstaaten gleichzeitig stattfinden und
auch die Neuordnung der europäischen Institutionen, vor allem die Stärkung
des Parlaments beinhalten. Dies wären echte Schritte in die Richtung einer
europäischen Demokratie.

• Der Vertrag von Lissabon unterscheidet sich nicht grundlegend von bisherigen
EU-Verträgen. Verglichen mit dem Vertrag von Nizza gibt es keinen speziellen
inhaltlichen Grund, den Vertrag von Lissabon einer Volksabstimmung zu
unterziehen. Es kann aber sehr wohl strategische und demokratiepolitische
Gründe geben, 14 Jahre nach der Abstimmung über den EU-Beitritt wieder
einmal eine Volksabstimmung zu einem Europathema durchzuführen. Etwa
um die Politik zu zwingen europäische Fragen mit der Bevölkerung zu
diskutieren und um dem weit verbreiteten EU-Frust entgegenzuwirken.

• Zum Thema Türkeibeitritt widerspricht die Sektion 8 der Position der SPÖ-
Führung. Im Leserbreif wurde angekündigt, den Beitritt der Türkei nur mittels
Volksabstimmung zuzulassen. Unabhängig ob ein Beitritt der Türkei
grundsätzlich befürwortet oder abgelehnt wird, müssten für ein eventuelles
Beitrittsprozedere dieses Landes die selben Regeln gelten wie für alle
anderen Staaten auch.