Die Sozialdemokratie ist eine Bewegung, die rund anderthalb Jahrhunderte alt ist. Es war die ArbeiterInnenbewegung, die stets Jahrzehnte früher gegen alle konservativen Widerstände und für gesellschaftspolitische Reformen gekämpft hat, die im Nachhinein selbst für den Großteil der Konservativen selbstverständlich wurden. Die Abschaffung der Todesstrafe, das Frauenwahlrecht, Religionsfreiheit, die Entkriminalisierung von Homosexualität und Ehebruch, das Asylrecht, das Scheidungsrecht, der MieterInnenschutz, die Humanisierung des Strafrechts, das Gewaltverbot gegen Kinder, der Schwangerschaftsschutz, die Trennung von Staat und Kirche, die Abschaffung des männlichen Haushaltsvorstands, die Unentgeltlichkeit des Schulwesens, oder die Fristenlösung sind ein paar plakative Beispiele einer jahrzehntelangen sozialdemokratischen Reformagenda. In zwanzig Jahren werden die ganztägige Gesamtschule, die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare oder die zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten auch für konservative Kräfte (hoffentlich) Selbstverständlichkeiten sein.
Die europäische Sozialdemokratie hat im gesellschaftspolitischen Bereich jene Vorreiterrolle übernommen, die in den USA den Liberalen zufiel. Das schmälert nicht ihre Leistungen, nimmt diesen allerdings die Einzigartigkeit. Ihre außergewöhnliche welthistorische Rolle fällt der Sozialdemokratie vielmehr ob ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik zu. Der Umstand, dass wir nicht nur in einer freien und demokratischen Gesellschaft leben (wie das auch in den USA der Fall ist), sondern darüber hinaus in einer sozial relativ ausbalancierten, liegt am beachtlichen sozialdemokratischen Impact in unseren Breiten. Die Gründe dafür, dass bei uns nicht ein Sechstel der Bevölkerung ohne Gesundheitsversicherung lebt, wieso Altersarmut kein Massenphänomen ist, wieso es kaum ghettoisierte Satellitenstädte gibt, wieso die öffentliche Infrastruktur und der öffentliche Verkehr nicht im Argen liegen, wieso ArbeitnehmerInnen nicht ohne Rechte dastehen (z.B.ohne Kündigungsschutz und mit nur zwei Wochen Urlaub), wieso man nicht drei Jobs ausüben muss, um über die Runden zu kommen und wieso die Einkommensverteilung bei uns nicht katastrophal ungerecht ist, liegt an der jahrzehntelangen Mitwirkung der Sozialdemokratie. Dass wir auf eine qualitativ hochwertige öffentliche Gesundheitsversorgung für alle stolz sein können, dass wir – bei allen Schwächen – ein flächendeckendes solidarisches Pensionssystem haben, dass die Wohlhabenden über die Steuerprogression auch einen Beitrag zum Gemeinwesen leisten, dass ein stark ausgebauter öffentlicher Wohnbau vor Obdachlosigkeit, Elend und Kriminalität schützt, dass wir nicht nur leben um zu arbeiten, sondern auch arbeiten um zu leben, verdanken wir vor allem der Sozialdemokratie. Der europäische Wohlfahrtsstaat, die beste aller bisherigen Welten, ist vor allem ein Verdienst der ArbeiterInnenbewegung, deren wichtigste Impulsgeberin stets die Sozialdemokratie war.
Faktum ist, die sozialdemokratische Bewegung hat schon viele Höhen und Tiefen erlebt und hat mit Sicherheit glanzvollere Zeiten gesehen als die Zehnerjahre des 21. Jahrhunderts. Nicht zuletzt sind es ihre historischen Erfolge, die es ihr schwierig machen, heutzutage ein zeitgerechtes Rollenverständnis zu finden. Wir sind schlicht deshalb in der SPÖ organisiert, weil wir an die Notwendigkeit einer vitalen und kräftigen Sozialdemokratie im Zeitalter einer globalisierten Welt und eines zusammenwachsenden Europas glauben. Wir wollen mit unserem Engagement nicht den aktuellen Zustand der SPÖ-Führung goutieren, sondern dafür eintreten, dass die Sozialdemokratie das Gesetz des Handelns an sich reißt und ihre eigentliche Rolle als Reformmotor des Fortschritts zurückerobert. Wir sind nicht wegen der Führung der Bundespartei in der SPÖ sondern unabhängig von und phasenweise trotz ihrer Führung. Die meisten von uns waren schon in der Sozialdemokratie aktiv, bevor die aktuelle Bundesführung im Amt war und die meisten werden dort noch aktiv sein, wenn sie längst Geschichte ist. Wir betrachten die SPÖ als Feld politischer Auseinandersetzungen, wo das „Gute und Schöne“ nicht automatisch kommt, sondern wo für eine menschliche und fortschrittliche Politik gekämpft werden muss.